Ein Auszug aus „Im nächsten Leben mach ich was Sinnvolles. Erste Hilfe bei Jobfrust.“ von Anja Niekerken
Jeder kennt diese unglaublich stolzen Eltern, die so begeistert von den Leistungen ihrer Dreijährigen sind, dass man ihnen spontan an den Puls fassen möchte. Den Eltern. Nicht den Dreijährigen! Was der Nachwuchs alles kann und wie unglaublich begabt er doch sei:
»Stell Dir vor, der Kleine hat einen Fahrstuhl aus Lego gebaut, obwohl er noch nie im Leben einen Fahrstuhl gesehen hat.« Dann wird stolz der Fahrstuhl gezeigt und der Zwerg genötigt, mit seinem rudimentären Wortschatz die Ingenieursleistung zu beschreiben.
Das Kind brabbelt vor sich hin, die Elternaugen leuchten und das arme Publikum muss mindestens zehn Minuten Interesse heucheln und kann nur hoffen, dass der Spuk bald vorbeigeht. An dieser Stelle möchte ich mich kurz bei unseren Freunden entschuldigen, denn auch ich war vor Jahren diese stolze Mutter und habe ebenso unsere Freunde mit einem angeblichen Lego-Fahrstuhl drangsaliert … Doch warum machen wir als junge Eltern so etwas? Weil wir unser Kind motivieren wollen, sich weiterzuentwickeln. Und instinktiv wissen wir: Anerkennung ist die beste Motivation.
1954 stolperten die US-Forscher James Olds und Peter Milner vom California Institute of Technology eher zufällig über das Belohnungssystem im Gehirn von Ratten. Ihr eigentliches Ziel war es, etwas über die Systematik von Lernprozessen herauszufinden. Dazu implantierten sie ihren Ratten Elektroden ins Gehirn, setzten sie aber bei einer Ratte an der falschen Stelle ein, was für eine Überraschung sorgte: Das Tier fand den Elektroschock super und kehrte immer wieder an die Stelle im Versuchskäfig zurück, an der es den Impuls bekommen hatte. Hellhörig geworden, gaben Olds und Milner ihrer Ratte bei weiteren Experimenten die Möglichkeit, sich mit einem Hebel selbstständig einen Stromschlag zu verpassen. Und siehe da: Das Tier drückte nach ein paar Minuten Lernzeit regelmäßig auf den Hebel – und zwar alle fünf Sekunden!
Wir sind Anerkennungsjunkies … Ob wir wollen oder nicht …
Seitdem sind Wissenschaftler dabei, das Belohnungszentrum im Hirn zu erforschen. Wo es sitzt, wie es funktioniert und was es dazu benötigt. Aktuell weiß man, dass es keine spezielle Region im Gehirn gibt, die man als Belohnungszentrum ausweisen könnte.
Vielmehr handelt es sich um eine Art Schaltkreis, bei dem verschiedene Hirnregionen beteiligt sind. Fast wie in Otto Waalkes’ legendärem Sketch „Kleinhirn an Großhirn“. Botenstoff für diesen Austausch ist Dopamin. Das Hormon ist vielmehr für die Erwartung, also die Vorfreude, zuständig. Das bedeutet, dass eine Belohnungsreaktion im Gehirn in dem Moment gestartet wird, in dem wir eine Belohnung erwarten. Im Prinzip könnte man auch vom Motivationssystem sprechen, zumindest bis zu dem Punkt der Reaktion, wo das tatsächliche Ergebnis über den weiteren Verlauf der Gehirnreaktion entscheidet. Tritt das erwartete Ergebnis, also der Belohnungsreiz, ein, feiern Endorphine, Oxytocin und ein paar weitere Stoffe eine kleine Glücksparty in unserem Kopf. Jeder weiß, wie sich das anfühlt. Und Wertschätzung, Anerkennung, Sympathie und natürlich Liebe lösen diese großartige Party in unserem Kopf aus.
Aha … Das ist also einer der Gründe, warum wir uns Tag für Tag zur Arbeit schleppen, mal mehr und mal weniger motiviert: Unser Gehirn ist ein Happy-Hormone-Junkie. Die ernüchternde Antwort ist: Jepp. So ist es. Joachim Bauer schreibt in seinem Buch „Arbeit – Warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht!“: „Auch wenn es vielen möglicherweise nicht bewusst sein mag, so ist es doch eine Tatsache: Ein zentrales, neurobiologisch (!) begründetes Motiv für die Bereitschaft des Menschen zu arbeiten ist der Wunsch nach direkter oder indirekter Anerkennung.“ Wertschätzung, Anerkennung und Sympathie dienen – wenn man es einmal aus der Perspektive der Familie Feuerstein betrachtet – wieder der Gruppenzugehörigkeit. Als Jäger und Sammler war man damals einfach besser dran und das Überleben so einigermaßen gesichert. Zu dieser Zeit haben sich Fred und Wilma ihre Anerkennung und Wertschätzung in der Gruppe dadurch gesichert, dass sie nette und nützliche Gruppenmitglieder waren. Und wodurch wurden die Feuersteins nützlich? Durch den Beitrag, den sie zur Gemeinschaft leisteten: ihre Arbeit.
Unsere Arbeit macht uns zu nützlichen Gruppenmitgliedern
Jetzt ist natürlich die Preisfrage: Was ist Anerkennung? Ist es die so oft eingesetzte Prämie? Oder ist es ein Schulterklopfen? Ein Lob? Eine freundliche Geste? Was denn nun? Die Antwort: Es kommt darauf an! Es kommt darauf an, welche individuellen Erfahrungen Menschen haben. Es kommt darauf an, wie ihr Gehirn und ihr Motivationssystem geprägt wurden. Denn wird das Motivationssystem enttäuscht, dann läuft eine andere Reaktion im Gehirn ab. Jetzt wird ein Teil des Gehirns aktiv, der auch bei körperlichen Schmerzen das Sagen hat: die Insula. Und findet unser Gehirn körperlichen Schmerz toll? Natürlich nicht. Also lernt es, seine Erwartungen massiv herunterzuschrauben. Studien der University of Wisconsin-Madison belegen diesen Effekt. Die Wissenschaftler des Instituts untersuchten zwei Gruppen von Vierjährigen. Die eine Gruppe hat ihre ersten Lebensmonate in osteuropäischen Heimen zu einer Zeit verbracht, in der füttern und wickeln als ausreichende Zuwendung galten. Die Kinder wurden mit etwa einem Jahr von amerikanischen Familien adoptiert. Die zweite Gruppe wuchs von Geburt an bei ihren Eltern auf. Die Forscher interessierten sich vor allem für die Reaktionen der Kinder auf körperliche Zuwendung wie eine Umarmung. Dabei stellten sie durch Urinuntersuchungen fest, dass die Kinder aus der ersten Gruppe auf dieselben Zuwendungen viel schwächer reagierten.
Auch ist der genaue Anerkennungscocktail aus monetärer Zuwendung, aufmunterndem Lob oder auch Übertragen von verantwortungsvollen Aufgaben individuell verschieden. Mit anderen Worten: Ja, Geld kann als Anerkennung funktionieren, aber eben nicht – wie so oft praktiziert – als alleinige Stimulation und auch nicht bei jeder Person. Es kommt auf die Person an, der die Anerkennung zuteilwerden soll. Wer jetzt denkt, das sei zu schwierig, der stelle sich doch einfach einmal vor, man solle zwei verschiedenen Personen aus seinem Umfeld seine Anerkennung ausdrücken und zwar so, dass es der betreffenden Person auf jeden Fall gefallen würde. Die eine Person sei die Partnerin oder der Partner und die andere sei ein Kind, entweder das eigene oder eines, das dir nahesteht. Würdest du deine Anerkennung mit Geld ausdrücken? Vielleicht. Es kommt drauf an. Bei meinem 14-jährigen Sohn hätte das vor ein paar Jahren noch nicht funktioniert. Denn Kinder unter zehn Jahren können normalerweise die Bedeutung von Geld noch nicht einschätzen, weil sie selbst erst wenig mit Geld umgehen. Aber als Teenager mit zunehmender Eigenständigkeit kann er den Wert von Geld ganz gut einschätzen und es würde funktionieren. Wenn ich meinem Mann einen 50-Euro-Schein in die Hand drücken würde, würde er vielleicht lachen, aber etwas irritiert wäre er schon. Hingegen würden zwei Karten für das nächste St.-Pauli-Spiel oder ein heiß ersehntes Ersatzteil für seinen VW-Bulli sicher besser ankommen. Individuelle Aufmerksamkeit ist hier das Zauberwort. Denn es kommt nicht nur auf die Person, sondern auch auf die Beziehung zueinander an. Wer sich aber jetzt zurücklehnt und meint, dass monetäre Aufmerksamkeit im Job ja ausreichen würde – weit gefehlt! Auch hier ist individuell und situationsbedingt zu entscheiden.
Anerkennung heißt: Ich sehe dich! Ich höre dir zu!
Anerkennung hat auch immer etwas mit „gesehen werden“ zu tun. Echte Anerkennung ist auch immer die Anerkennung unserer Individualität, unserer Einzigartigkeit, unserem Tun einen Sinn zu geben. Geld vermag dies nur zu einem gewissen Teil auszudrücken. Selbst bei Jobs mit einem hohen Maß an Incentive, wie im Vertrieb, reicht Geld allein als Motivation nicht aus, denn Geld bekommst du in jedem Job und wenn du richtig gut bist, auch viel Geld. Das Einfordern einer leistungsgerechten Bezahlung ist heute in vielen Bereichen kein Thema mehr. Gerade darum kommt jeder nicht-finanziellen Form von Anerkennung ein wesentlich höherer Stellenwert zu.
Joachim Bauer schreibt dazu in seinem Buch „Prinzip Menschlichkeit“: „Nichts aktiviert die Motivationssysteme im Gehirn so sehr wie der Wunsch, von anderen gesehen zu werden, die Aussicht auf soziale Anerkennung, das Erleben positiver Zuwendung und – erst recht – die Erfahrung von Liebe. […] Alle Ziele, die wir im Rahmen unseres normalen Alltags verfolgen, die Ausbildung oder den Beruf betreffend, finanzielle Ziele, Anschaffungen etc., haben aus der Sicht unseres Gehirns ihren tiefen, uns meist unbewussten ‚Sinn‘ dadurch, dass wir damit letztlich auf zwischenmenschliche Beziehungen zielen, das heißt, diese erwerben oder erhalten wollen. Das Bemühen des Menschen, als Person gesehen zu werden, steht noch über dem, was landläufig als Selbsterhaltungstrieb bezeichnet wird.“ Mit anderen Worten ausgedrückt: Anerkennung kommt in vielen unterschiedlichen Formen daher. Es kommt entscheidend darauf an, zu erkennen, wie der Anerkennungsempfänger gepolt ist.
Anerkennung kann monetär ausgedrückt werden. Klappt aber nicht immer …
Dann ist es also egal, wie viel wir verdienen? Anerkennende Worte und persönliche Wertschätzung sind eigentlich mindestens genauso wichtig? Nicht ganz, denn Geld ist das Mittel, um unseren sozialen Status zu erhalten beziehungsweise zu verbessern. Geld hilft uns durch den Kauf der entsprechenden Dinge, bei anderen aufzufallen und einen guten ersten Eindruck zu machen. Geld hilft uns, zu zeigen, dass wir gesellschaftlich gut gestellt sind.
Und genau in diesem Moment wird wieder ein Schuh daraus: Selbst wenn wir unseren Job hassen, unser Chef ein Arschloch ist und auch die Kollegen Idioten sind, so garantiert uns der Broterwerb eben doch mehr als nur die physische Existenz. Durch unser Gehalt dokumentieren wir unseren sozialen Status und weisen uns als nützliche Mitglieder der Gesellschaft aus. Doch Vorsicht ist geboten: Vorsicht, den richtigen Moment für einen geregelten Absprung zu einem neuen Job nicht zu verpassen, wenn der Traumjob zum Albtraum mutiert. Schließlich verbringen wir einen nicht ganz unbeträchtlichen Teil unseres Lebens mit Arbeiten. Da sollte die Kosten-Nutzen-Rechnung, die unser Gehirn in der Regel schon ohne unser bewusstes Zutun macht, grundsätzlich aufgehen: Selbst wenn ich in einem Job unterwegs bin, der mit Selbstverwirklichung nicht so viel zu tun hat, müssen ein doofer Chef und blöde Kollegen nicht sein. Die finde ich im Zweifel auch woanders, aber die Chance auf mehr positive zwischenmenschliche Kontakte steigt bei einem Wechsel enorm.
Das war ein Ausschnitt aus „Im nächsten Leben mach ich was Sinnvolles. Erste Hilfe bei Jobfrust“
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