Vor Kurzem bin ich fast ausgerastet, als eine Bekannte zu mir sagte „Ja, Du hast gut reden. Bei Dir funktioniert ja auch immer alles … “ Da war ich wirklich sauer, denn so ist es nicht. Im Gegenteil. Der Unterschied ist nur, dass ich inzwischen gelernt habe, wie man fällt. Wer fallen kann, der hat keine Angst zu stürzen. Sportler*innen wissen das. Aber warum wissen das nur Sportler*innen? Und vor allem: Warum üben das nur Sportler*innen?
Fußballer*innenn, Kampfsportler*innen, Turner*innen und andere lernen von Anfang an, wie man fällt. Zumindest, wenn sie ordentlich trainiert werden und/oder ab einer gewissen Leistungsstufe unterwegs sind. Das Ergebnis konsequenten Sturztrainings ist nicht nur eine geringere Verletzungsgefahr, sondern und das halte ich persönlich fast für wichtiger: Angstfreiheit. Wer weiß, wie man fallen muss, steht nicht nur schneller wieder auf, sondern hat auch weniger Angst vor einem Sturz. Das wiederum reduziert den Stress und erhöht die Leistungsbereitschaft. Wie oft tun wir Dinge nicht, weil wir Angst vorm Stürzen haben? Wir überlegen uns, was alles passieren könnte und dann lassen wir es lieber. Ganz egal um was es dabei geht. Wir entscheiden uns lieber dafür, einen Misserfolg zu vermeiden, als einen Erfolg zu suchen …
Natürlich ist der Weg jetzt nicht mehr weit zu Führungskräften in Unternehmen. Aber warum gleich in der Führungsetage ansetzen? Was ist denn mit den ganz „normalen“ Angestellten? Viele aus dieser Riege werden Führungskräfte. Und selbst wenn nicht, wäre es nicht wunderbar, angstfreie Mitarbeiter*innen mit Mut und Gestaltungswillen zu haben? Ist es nicht das, was überall vollmundig gesucht und gewünscht wird?
Verschwende keinen guten Fehler
Aber wie trainiert man das? Wie trainiert man das professionelle Fallen im Berufsalltag. Meiner Ansicht nach ist unbedingte Voraussetzung, dass allen Mitarbeiter*innen klar ist, dass Fehler nicht nur okay sind, sondern auch erwünscht. Bevor hier jemand aus dem Sitz springt: Wenn es um Leben und Tod geht, natürlich nicht! Aber schauen wir doch mal dorthin, wo es um Leben und Tod geht: zum Beispiel in der Fliegerei. Die Luftfahrt hat es schon lange begriffen: Es gilt nicht, Fehler zu vermeiden, sondern ein offener Umgang mit Fehlern zu pflegen. Bitte nicht falsch verstehen: Niemand wird hier zu Fehlern ermutigt. Aber wer einen Fehler macht, macht Meldung. So haben alle anderen die Chance, diesen Fehler erst gar nicht zu machen. Denn nur aus Fehlern, die offen nach außen getragen werden, lernen wir und andere. Sicherlich nicht einfach, schließlich wurden wir zeit unseres Lebens auf das Fehlervertuschen trainiert.
Schon in der Schule ging es nicht wirklich darum, aus Fehlern zu lernen, sondern sie zu vermeiden. Wäre dem nicht so, würde man ja nicht das Ergebnis einer Klassenarbeit werten, sondern den Lerneffekt bzw. den Umgang mit den Fehlern im Nachgang … Man würde konsequent nach einer Klassenarbeit darauf achten, ob ein Lerneffekt eingetreten ist und eben diesen Bewerten. Beispiel: Schüler*innen können eine bestimmte Vokabel oder eine bestimmte Zeitform zum Zeitpunkt der Arbeit noch nicht. Dann würde man in den nächsten zwei Wochen verstärkt darauf achten, z. B. bei der Hausaufgabenkontrolle oder bei der mündlichen Beteiligung, ob es jetzt richtig gemacht wird. Wenn ja: super Lerneffekt! Wenn nein: bitte noch mal lernen!
Wer nicht aus Fehlern lernt, hat verloren …
Die Konsequenz daraus, dass es eben nicht so gemacht wird: Wir lernen Fehler zu vermeiden. Fehler zu vermeiden, hat aber nichts mit befreitem Agieren zu tun. Fehlervermeidung bindet Energie. Es ist ein Unterschied, ob ich mich nach allen Seiten absichere oder ob ich in Ruhe mein Ziel fokussiere und durchstarte …
Die Angst lähmt. Und noch schlimmer: Sie lässt uns unglaublich blöde Dinge tun. Das Stichwort „VW“ sollte in diesem Zusammenhang genügen. Wer Angst hat zu fallen, läuft entweder gar nicht erst los oder macht am Ende ziemlich dämliche Sachen … Warum also nicht von Sportler*innen und der Luftfahrt lernen? Ich gebe zu, es ist schwierig, im Unternehmensalltag das Fallen zu simulieren, aber es reicht ja schon, wenn man nach einem Fehler eine gründliche Lernanalyse durchführt. Und zwar in der Form, wie es Sportler*innen machen. Schaut Euch Euer verlorenes Spiel im Nachgang genau an. Ohne Schuldzuweisungen, sondern mit einer gesunden Neugier! Und ohne hierarchisches Geplänkel. Autorität lähmt solche Prozesse! So werden Fehler einfach nur verschwendet und Verbesserungschancen verschenkt. Welche Schritte und Entscheidungen haben wir wann und wie getroffen? Wo war der Point of no Return? Wo hätte man noch abbiegen können? In der Luftfahrt wird dies gemacht. Im Sport auch. Warum nicht in jedem Unternehmen?
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