Konstruktiv streiten: Agree to disagree

Konstruktiv streiten: Agree to disagree

8. Mai 2022

Egal für wie offen wir uns halten: Im Grunde wollen wir recht haben. Zumindest, wenn wir mal ganz ehrlich sind. Kaum ein Mensch geht in eine Diskussion mit der Einstellung: Jetzt stelle ich meine Meinung und meine gesammelten Fakten endlich mal wieder auf den Prüfstand und freue mich, wenn ich eines Besseren belehrt werde … Eine andere Meinung einfach als solche stehen zu lassen und die daraus entstehenden Vorteile zu nutzen, gelingt uns eher selten.

Meinungsverschiedenheiten sind grundsätzlich okay. Jeder hat ein Recht auf seine eigene Meinung. Nicht umsonst ist die Meinungsfreiheit ein hohes Gut in unserer Gesellschaft. Problematisch wird es allerdings, wenn jemand tatsächlich anderer Meinung ist. Dann wird es schon schwieriger. Dabei müssen wir für ein gutes Beispiel nicht mal auf die Politischen links und rechts Außen zurückgreifen. Impfpflicht, bedingungsloses Grundeinkommen oder Fleischkonsum reichen völlig aus, um nicht nur verschiedener Meinung zu sein, sondern um auch gleich völlig die Contenance zu verlieren. Tatsächlich kann man sogar der gleichen Meinung sein, wenn man aber, wie ich eine sehr lockere Alltagssprache wählt, um seiner Meinung Ausdruck zu verleihen, dann kann auch das andere Menschen auf die Palme bringen … Das Ergebnis sind nicht mehr „nur“ Meinungsverschiedenheiten, sondern im schlimmsten Fall handfeste Beschimpfungen und verbaler Krieg.

Andere Meinungen sind oft nur schwer auszuhalten

Die Frage, die mich dabei beschäftigt ist: Muss dass überhaupt sein? Wenn wir noch einmal von der Meinungsfreiheit ausgehen, so hat ja jeder das Recht auf seine Meinung. Menschen haben das Recht zu glauben, dass Frauen an den Herd gehören und der Klimawandel eine Erfindung von Elon Musk (oder wem auch immer) ist. Das Problem ist: Andere Meinungen sind sehr schwer auszuhalten. Denn unsere Meinung ist direkt an unser Selbstbild geknüpft. Ist meine Meinung okay, dann bin ich okay … Ist meine Meinung nicht okay, dann habe ich ein Problem … 

Erschwerend hinzu kommt, dass wir als Herdentiere jahrtausendelang auf die soziale Unterstützung der Gruppe angewiesen waren. Mit anderen Worten war es wichtig, dass die Gruppe uns und auch unsere Meinung akzeptierte. War das nicht der Fall, konnte es ganz schnell gefährlich werden. Denn außerhalb der sozialen Gruppe lauerte der sichere Tod. Damit ist sehr stark vereinfacht, auch ganz gut erklärt, warum wir uns in Gruppen mit ähnlichen Meinungen und Lebensstilen bewegen.

Meinungsverschiedenheiten verursachen, unter anderem aus den o. g. Gründen, Stress. Stress ist ein sehr altes Überlebensprogramm unseres Körpers, welches im Grunde für Flucht, Kampf oder tot stellen zuständig ist. Das ist für eine Meinungsverschiedenheit, die nicht in einen Meinungskampf ausarten soll, natürlich auch nicht zuträglich …  

Das sind nur ein paar kurz angerissene Gründe, warum wir bei Meinungsverschiedenheiten ziemlich schnell auf Krawall gebürstet sind und nicht zivilisiert miteinander diskutieren, wie wir es eigentlich gern würden … Was aber nun dagegen tun? Der erste Schritt ist für mich immer, sich dieser gesammelten Mechanismen, die uns mehr oder weniger fernsteuern, erst einmal bewusst zu werden. Bewusst sein und Einsicht sind die ersten Schritte zur Besserung. Das bedeutet nicht, dass es dann sofort besser wird. Mitnichten! Ich renne auch immer noch in handfeste Meinungsverschiedenheiten und lasse mich von meinen Rechthaberimpulsen leiten. Allerdings sehe ich in der Rückschau mein Verbesserungspotenzial und überlege mir dann, wie ich es beim nächsten Mal nutzen kann. Im Grunde ist es das klassische Trial-and-Error-Prinzip. Und manchmal funktioniert es tatsächlich gleich zu Beginn. Da merke ich dann sofort: Ach, guck mal, jetzt willst Du wieder recht haben. Das sind für mich großartige Momente, denn jetzt habe ich die Wahl, wie ich reagieren möchte. Ich bin nicht mehr fern gesteuert von meinen Egoimpulsen. Ich kann mir überlegen, ob ich es aushalten kann, die andere Meinung stehen zu lassen und vielleicht ein paar neue Idee für mich mitzunehmen. Oder ich kann mein Ego von der Leine lassen und mir einen guten Streit suchen.

Agree to disagree öffnet neue Möglichkeiten

In solchen Momenten entsteht etwas Magisches. Denn in solchen Moment entsteht eine weitere Option. Normalerweise setzt sich entweder eine Meinung durch oder wir schließen einen Kompromiss. Je nachdem, wie hart man sich vorher auseinandergesetzt hat, ist entweder eine Seite unzufrieden oder beide Seiten sind nicht wirklich glücklich. Dabei gibt es eine weitere Option: agree to disagree – sich darüber einig zu sein, dass man sich uneinig ist. Das klingt zunächst nach keiner Lösung, was auch stimmt. Denn hier folgt die Lösung in einem zweiten Schritt. Entweder man analysiert neu oder man trifft eine Vereinbarung.

Eine Vereinbarung unterscheidet sich von einem Kompromiss wie folgt: Während man sich bei einem Kompromiss in der Mitte trifft, jeder also einen Teil aufgeben muss, so kommt bei einer Vereinbarung jeder zu seinem Recht. 

Ein einfaches Beispiel wäre: Ein Paar streitet sich darum, ob sie in der Stadt oder auf dem Land wohnen wollen. Der Kompromiss wäre im Randgebiet einer Stadt zu wohnen. Klingt einleuchtend, aber es ist weder Fisch noch Fleisch. Da beide Partner nicht in der Lage sind, die Meinung bzw. Wünsche des anderen zu akzeptieren, ohne die eigenen aufzugeben, bleibt augenscheinlich nur dieser Kompromiss. Wären sie sich einig, nicht einig zu sein, würden sich neue Möglichkeiten ergeben. Zum Beispiel getrennte Wohnungen. Das würde ja nicht bedeuten, dass man nicht zusammen wohnt … Und es wäre sicher ein Modell, welches zunächst ungewohnt ist, aber es wäre eine Möglichkeit, über die vorher nicht nachgedacht werden konnte.

Natürlich ist das im Arbeits- und Führungsalltag nicht mal eben so umzusetzen. Allerdings dürfen wir uns immer wieder die Frage stellen: Akzeptiere ich tatsächlich die Meinungen der anderen? Dürfen diese Meinungen gleichberechtigt nebeneinanderstehen oder werden sie mehr oder weniger unbeabsichtigt glattgebügelt? Halte ich andere Meinungen gut aus, ohne sofort in den Verteidigungsmodus zu gehen? Wenn wir diese Fragen immer wieder positiv für uns beantworten können, dann sind wir meiner Ansicht nach auf einem guten Weg.

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