Ich bin dann mal weg – Warum Highpotentials gehen

Ich bin dann mal weg – Warum Highpotentials gehen

2. Januar 2022

In meinen Coachings und Trainings begegnet es mir immer wieder: gute Mitarbeiter*innen kündigen. Und ich sitze dann da mit der Führungskraft oder nicht selten mit dem Chef der Führungskraft und höre mir an, dass die Guten einfach nicht zu halten sind, weil sie woanders mehr Geld bekommen. Und so leid es mir in diesem Moment manchmal tut, ich muss die Enttäuschung noch mal vergrößern. Kaum ein Mitarbeiter geht des Geldes wegen. Geld ist vielleicht der Auslöser, aber nicht der Grund. Und wer es sich jetzt leicht machen möchte, der hört einfach hier auf zu lesen.

Eines vorweg: Ich bin weit davon entfernt in diesem Artikel das beliebte Führungskräftebashing zu betreiben. Frei nach dem Motto, die Ursachen für die schlechten Ergebnisse der jährlich erscheinenden Gallup Studie wären ausschließlich bei den Führungskräften zu suchen. Das habe ich schon mal gemacht, aber heute werde ich die Fragen einmal anders stellen.

Fangen wir doch einfach mal bei der Kündigung an. In der Regel wird ein Mitarbeiter nach seiner Kündigung nicht mehr wahr genommen. Auch wenn er noch bis zu einem halben Jahr, manchmal sogar länger im Unternehmen bleiben muss. Kündigungsfrist sei Dank. Alles was dann noch interessiert: erledigt er seine Arbeit noch ordentlich und macht er eine vernünftige Übergabe. Hin und wieder wird sich noch die Mühe eines Abschiedsgeschenkes mit Umtrunk und einer hastigen, improvisierten Ansprache durch den Chef gemacht. Aber auch nicht immer. Der Chef hat schließlich wichtigeres zu tun … Ich weiß, wovon ich spreche, ich habe in meiner Angestelltenkarriere selbst oft genug gewechselt bzw. bin oft genug Zeuge dieser teilweise mit viel fremdschämen verbundenen Veranstaltungen gewesen.

Mal abgesehen davon, dass das beschriebene Verhalten nichts mit Haltung oder gar charismatischem Führen zu tun hat, so vergibt sich jede Führungskraft und jedes Unternehmen nicht nur eine, sondern zwei große Chancen. 

Wir starten Jobs wegen des Geldes und der Aufgabe und wir verlassen Jobs, weil wir die Kolleg*innen und/oder die Chefetage nicht mögen …

Erstens: Wer kündigt tut das nicht wegen des Geldes. Das zeigen Exitinterviews, die kluge Unternehmen und mutige Führungskräfte führen lassen. Ja, durch Dienstleister wie mich, aber darum geht es hier gerade mal nicht. Es geht darum, dass diese Unternehmen und Führungskräfte heraus finden wollen, wo sie einen Fehler, in der Regel sind es mehrere Fehler gemacht haben, um diese in Zukunft beim Kampf um Highpotentials zu vermeiden. Dazu muss man aber erst mal bereit sein, sich einzugestehen, dass Menschen nicht wegen einer Gehaltserhöhung gehen!

Ganz oben auf der Hitliste der tatsächlichen Kündigungsgründe stehen mangelnde Anerkennung, sinnlose Tätigkeiten und keine Möglichkeit sich selbst einzubringen. Überarbeitung und geringe Flexibilität in der Arbeitsgestaltung werden auch noch vor dem Gehalt genannt. Wenn dann noch, wie gerade in einem Interview erlebt, eine gestandene noch junge Kraft erfährt, dass er eine fünfstellige Summe weniger verdient, als der neueingestellte Kollege im gleichen Bereich, dann kann der Abschiedsblumenstrauß gleich bestellt werden. 

Wer solche Fakten wirklich herausbekommen will, der muss fragen! Aber bitte richtig. Manche Unternehmen kommen dann auf so traurige Ideen, die Interviews von der eigenen Personalabteilung oder gar von der direkten Führungskraft selbst führen zu lassen. Das ist kein Scherz. Ich frage mich dann immer, ob man dort wirklich valide Antworten haben will, mit denen man arbeiten kann, oder ob es nur darum geht, dem Scheidenden einen guten Eindruck mit auf den Weg zu geben. Ist ja auch schon mal was, aber die Kündigung des nächsten Highpotentials wird dadurch nicht verhindert.

Wer Leistung will, muss Sinn bieten

Aber immerhin wird durch diese Aktion eine große Chance gewahrt, nämlich die, das der Abreisenden vielleicht mit einem guten Eindruck in die Ferne reist. Es bestehen nämlich durchaus Chancen, dass er wieder kommt. Das hängt natürlich von dem Eindruck ab, den das Unternehmen bei ihm hinterlässt. Und die Wahrscheinlichkeit, dass er gut über das Unternehmen spricht, wenn sich in seinem zukünftigen Unternehmen jemand neuorientieren will ist dann auch gewährleistet …

Wer heute Leistung will, muss Sinn bieten. Das ist nicht immer einfach. Und manchmal sind die Unternehmen auch nicht darauf ausgerichtet. Allerdings kann jede Führungskraft selbst für Sinn in ihrem Bereich sorgen. Zum Beispiel mit sinnvollen Aktionen. Schon mal darüber nachgedacht, die erste Abteilung im Unternehmen zu werden, die ihren Plastikmüll um die Hälfte reduziert? Oder die Abteilung, die eine Woche pro Monat komplett auf Auto und Flugzeug verzichtet? Oder die Abteilung, die einmal pro Woche ihr Lunchgeld einsammelt und davon ein Patenkind bei den SOS Kinderdörfern finanziert …. Und das sind nur ein paar Ideen, ich bin sicher, dass es noch wesentlich mehr gibt, wenn sich eine tolle Truppe zusammen setzt und nachdenkt. Übrigens eine Aktion, die jeder in jeder Hierarchiestufe initiieren kann.

Wer seine Highpotentials halten will, der muss lernen, warum sie gehen! Wer das nicht wirklich weiß und sich mit vorgeschobenen Begründungen zufrieden gibt, der wird nie in der Lage sein echte Leistungsträger zu halten.

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8 Kommentare

  1. Vielen Dank für den Beitrag. Was macht aber ein Highpotenzial, der bereits in einer Führungsposition ist und dennoch nur noch einen schnellstmöglichen Wechsel vollziehen möchte? Soll der das Gespräch dann direkt mit dem Ursprung des Wechselgedankens suchen (Stichwort Bossing)?

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    • Damit ich die Frage richtig verstehe: Es geht darum, dass die Führungskraft selbst wechseln will und die Entscheidung bereits gefällt hat? Richtig?

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  2. Guten Abend
    Ich bin Juristin und habe eine psychische Erkrankung (bipolare Störung) und verlor dadurch meine Stelle im ersten Arbeitsmarkt vor 15 Jahren.

    In Frage kamen bisher die letzten Jahre nur keine Arbeit, Freiwilligenarbeit oder geschützte Arbeitsplätze für mich in Frage.

    Ich habe keine Chance, zurück in den ersten Arbeitsmarkt zu kehren und auch bei geschützten Arbeitsplätzen erlebe ich Diskriminierung, Kündigungen und Ablehnung.

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    • Das ist natürlich eine schwierige Situation und tut mir sehr leid. Die einzige Möglichkeit, die ich in diesem Fall sehe ist, von Anfang an viel und offen mit dem Unternehmen und den verantwortlichen Führungskräften zu kommunizieren.

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  3. Sie haben es genau richtig verstanden, die Führungskraft möchte selbst gehen. Die Entscheidung ist über einige Jahre gereift und nunmehr endgültig getroffen. Aber eben nur aus Gründen auf der zwischenmenschlichen Ebene, da die Arbeitsaufgabe fachlich und inhaltlich nach wie vor eher Berufung als Beruf ist. Gibt es dafür aus Ihrer Sicht noch eine Lösung für eine solche Herausforderung? Vielen Dank im Voraus und beste Grüße.

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    • Wenn das Problem auf der persönlichen Ebene liegt, dann muss es auch dort geklärt werden. Ist das nicht möglich, dann bleibt nur, dass eine der beiden Konfliktparteien versetzt wird oder geht. Meiner Ansicht nach entsteht das Problem bei der Einstellung bzw. in der Probezeit. Dort muss geklärt werden, ob es menschlich passt. Ob wir wollen oder nicht, wir sind alle nur Menschen und wenn es auf dieser Ebene nicht passt, können wir nicht zusammenarbeiten.

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  4. Guten Tag Frau Niekerken,

    ich finde in ihrem Artikel einige gute und absolut bedenkenswerte Ansätze.
    Allerdings hat Ihr Artikel eine umgekehrte Klimax. Aus den vielversprechenden Anfang entfaltet sich in interessanter Mittelteil, dem ein sehr flacher, mehr oder weniger substanzloser Schluss folgt – wie bedauerlich.

    Glauben Sie tatsächlich, dass ein Highpotential im Unternehmen vor allem deswegen bleibt, weil er mit dem Rest seiner Abteilung eine Patenschaft für wen auch immer bezahlt oder Plastikmüll verringert? Glauben Sie das wirklich? Meinen Sie tatsächlich, dass das sinnstiftende Element ist, das ihn bei der Stange halten könnte?

    Wenn Führungskräfte das täten, was in ihrem Namen steht, Menschen zu führen, und zwar wirklich angemessen zu führen, würde es solche Diskussionen, wie man sie im Unternehmen halten kann, gar nicht geben.

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    • Moin Herr Müller,
      vielen Dank für ihre „wertschätzende“ Rückmeldung 😉 Und nein, ich glaube nicht, dass Highpotential ausschließlich aus den genannten Gründen bleiben. Und ich glaube auch nicht, dass Führungskräfte, wenn sie täten was in ihrem Namen steht, solche Diskussionen vermeiden könnten. Dazu sind unser Sozialverhalten und unsere Psyche viel zu komplex. Alles was ich tun kann ist, immer mal wieder den einen oder anderen Aspekt heraus zu greifen und zu beleuchten. Dabei handelt es sich aber nie um ein „So und nicht anders“ oder um ein „ausschließlich so“, sondern immer nur um einen Aspekt eines großen Komplexes, den man mal bedenken könnte.
      Herzliche Grüße
      Anja Niekerken

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