Erfolgs-Bullshit-Mythos: Der frühe Vogel fängt den Wurm

Erfolgs-Bullshit-Mythos: Der frühe Vogel fängt den Wurm

27. Februar 2022

Mit trauter Regelmäßigkeit poppen sie auf: Die Theorien, wie man seine Zeit besser nutzen kann. Der neueste Bullshit: Einfach mal weniger schlafen! Die Rechnung dahinter: Wer zwei Stunden weniger schläft, hat zwei Stunden mehr vom Tag, das sind 730 Stunden im Jahr, also 30 ganze Tage. Warum die Rechnung am Ende nicht aufgeht, erfährst Du in diesem Artikel.

Unsinn: Zeit sparen durch weniger Schlaf

Kaum zu glauben, aber wahr! Ein sehr erfolgreicher Vertriebskollege hat vor kurzem mit dieses Beispiel veröffentlicht:

„Das Zeitbudget, das wir alle zur Verfügung haben, ist gleich. 8760 Stunden im Jahr. Könnte es da Sinn machen, die Zeit die wir zur Verfügung haben, effektiver zu nutzen? Für mich ist die Antwort ein klares „JA“. Ein erster Schritt könnte sein, die Zeit die wir im Bett verbringen von 8 auf 6 Stunden zu reduzieren. 2 Stunden mehr jeden Tag, das sind 730 Stunden im Jahr, also 30 ganze Tage. Wie seht Ihr das?“ Darüber hinaus war eine Grafik beigefügt, die vier oder fünf erfolgreiche Frühaufsteher zeigte und einen erfolgreichen Langschläfer … Ein Schelm, der Manipulatives dabei denkt …

Vorweg: Das Beispiel ist gut formuliert, denn er geht klar von einer „könnte“ Prämisse aus. Und er formuliert klar, dass es für ihn selbst eine gute Lösung ist. Darüber hinaus fragt er, wie andere dies sehen. Zum einen geht es dabei natürlich darum, eine Social Media Diskussion anzuzetteln und so mehr Traffic auf dem eigenen Account zu generieren. Hat auch wunderbar geklappt. Ich selbst habe einiges dazu beigetragen, denn mein „Bullshit-Mythos-Knopf“ war gedrückt. 

Hier kommen drei Gründe, warum diese Argumentation an allen Ecken und Kanten hinkt und für einige Menschen gesundheitlich negative Auswirkungen haben könnte.

1. Zwischen Zeit und Erfolg besteht keine Kausalität

Die Theorie die im o.g. Beispiel aufgestellt wird, setzt Zeit und Erfolg in Beziehung. Klingt ja auch zunächst ganz vernünftig, denn es ist ja einigermaßen nachvollziehbar, dass ein hoher Zeiteinsatz auch mit höherer Wahrscheinlichkeit zum Erfolg führt. Im Grunde ist es die Theorie: Viel hilft auch viel … Bei diesem Satz wird es schon deutlicher, dass mit dieser Theorie etwas nicht stimmen kann, denn wir kennen viele Beispiele, bei denen viel nicht viel hilft. Ja wir kennen sogar Beispiele in denen „viel“ eine fatale Wirkung haben kann. 

Ein Gegenbeispiel ist, wenn wir etwas lernen oder trainieren, dann korrelieren Zeiteinsatz und Fertigkeit. Je mehr Zeit wir in die Perfektion von Fertigkeiten stecken, umso besser werden wir sie ausführen können. Das bedeutet aber nicht, dass wir am Schlaf sparen können, und diese Zeit in eine andere Tätigkeit investieren können. Schlaf ist kein Investitionsgut! Ohne ausreichend Schlaf lernen wir nämlich schlechter, sind weniger kreativ und unser Immunsystem arbeitet deutlich schlechter. Unser Gehirn reagiert auf Schlafmangel übrigens ähnlich wie auf den Einfluss von Alkohol (vgl. https://www.spektrum.de/news/was-bei-schlafmangel-im-gehirn-passiert/1560834). 

Die Argumentation, hoher Zeiteinsatz im Job bedeutet auch gleich gute bzw. viel Leistung ist, wie durch die Forschung rund um die Teilzeitarbeit bestätigt, nicht haltbar. Zwischen Zeiteinsatz und Ergebnis im Job besteht kein direkter Zusammenhang. Es besteht aber ein Zusammenhang zwischen konzentrierter Arbeit und Ergebnis. Lasse Rheingans, CEO der Digital Enablers, hat genau das in seiner Agentur umgesetzt. Er sagt:“Kein Mensch kann acht Stunden am Tag kreativ und effektiv arbeiten.“ Deshalb ist der Arbeitstag in seiner Firma nur fünf Stunden lang, bei vollem Gehalt. Und seine Mannschaft schafft in der kürzeren Zeit das gleiche Pensum wie zuvor in acht Stunden (hier geht’s zum Podcast Interview mit Lasse Rheingans). Zeit und Effizienz korrelieren beim Menschen nur dann, wenn er fokussiert ist. Und sich zu fokussieren funktioniert leider nicht unbegrenzt, sondern nur zeitlich begrenzt. Darüber hinaus sind Pausen und vor allem Schlaf immens wichtig, um sich zu fokussieren …

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2. Der frühe Vogel fängt nicht zwingend den Wurm

Robert Sharma hat mit dem Buch „The 5 am Club“ einen Bestseller gelandet. Und wie das mit Bestsellern oft so ist, glauben wir natürlich auch, was da drin steht. Sharma zeigt anhand vieler berühmter, erfolgreicher Menschen, dass Morgenstund Gold im Mund hat. Und was der Volksmund schon wusste, wird durch Sharma offensichtlich ganz eindeutig belegt. Das Problem ist nur, dass wir – und auch Sharma – nicht wissen, welcher Chronotyp die von ihm beschriebenen Personen sind. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass es sich bei ihnen um Lerchen handelt. Also um natürliche Frühaufsteher. Kein Wunder, dass diese Menschen früh aufstehen und in den Morgenstunden am meisten Erfolg haben oder bestimmte Morgenrituale durchführen. Auch hier besteht nur eine scheinbare Kausalität. Denn zwischen früh aufstehen und Erfolg besteht kein direkter Zusammenhang. Andernfalls würde es ja kaum erfolgreiche Opernsänger oder erfolgreiche Theaterschauspieler geben. Kaum ein Opernsänger oder Schauspieler wird nach einer Abendvorstellung am nächsten Tag um 5:00 Uhr morgens aufstehen. Selbst in nicht wirklich zeitgebundenen Berufen gibt es Menschen, die zwischen 16:00 und 22:00 Uhr zur Hochform auflaufen, während beispielsweise bei mir dann im Hirn vielleicht noch das Licht an ist, aber anwesend ist dann niemand mehr. Bei meinem Mann ist es genau umgekehrt. Der frühe Vogel fängt eben nur den Wurm, wenn dieser auch früh unterwegs ist.

3. Die Chronobiologie entscheidet

Wir sprechen so oft von unserer inneren Uhr, und doch hören wir, wenn es um erfolgreiches Arbeiten geht so selten auf sie.

Kurz erklärt aus „Chronobiologie Spektrum kompakt“

ZIRKADIANER RHYTHMUS Ein durch innere Uhren gesteuerter Rhythmus mit einer Periodik von gut einem Tag. Bekanntestes Beispiel: der Schlaf-wach-Rhythmus. Er bleibt auch ohne äußere Zeitgeber erhalten. So schlafen die meisten Menschen unter Isolationsbedingungen (in Räumen ohne Uhr und Tageslicht) im 25-Stunden-Takt. 

SCHLAFFRAGMENTIERUNG Nachts durchlaufen wir zirka alle 90 Minuten einen Schlafzyklus mit verschiedenen Stadien. Zu Beginn und am Ende eines solchen Zyklus ist die Wahrscheinlichkeit, spontan aufzuwachen, am höchsten. Erwachen wir in der Nacht mehrfach und haben Probleme, anschließend wieder einzuschlafen, spricht man von Schlaffragmentierung. 

CHRONOTYP Bezeichnet den zirkadian gesteuerten Beginn des Schlaf-wach-Rhythmus: Frühe Chronotypen (»Lerchen«) stehen früh auf und gehen früh ins Bett, späte Chronotypen (»Eulen«) neigen zum Gegenteil“

Tatsächlich haben Wissenschaftler bereits Gene identifiziert, die für unseren biologischen Zeitrhytmus verantwortlich sind. Dafür gab es 2007 sogar schon einen Nobelpreis (vgl. Chronobiologie, Spektrum Kompakt). Darüber hinaus geht man davon aus, dass Menschen, die gegen ihren inneren Taktgeber leben eher zu Fettleibigkeit, Diabetes, Depressionen und anderen Leiden neigen.

Ergo: Natürlich kann man von anderen Menschen lernen, wie sie erfolgreich wurden. Allerdings macht es keinen Sinn, ihre Techniken 1:1 zu kopieren. Wir müssen unseren eigenen Weg finden. Gerade was die Gestaltung unserer Tagesabläufe angeht. Und dabei gilt: Probieren geht über Studieren 😉

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