Vorweg: Ja, ich gehöre nicht nur zu den Berufsoptimist*innen, ich bin es auch tatsächlich. Trotzdem weiß ich sehr genau, wie schädlich positives Denken mitunter (ACHTUNG: ausdrücklich „mitunter“) sein kann. Dazu müssen wir gar nicht erst den Trend „Toxic Positivity“ bemühen. Denn es gibt schon lange genügend Beispiele aus der Forschung, die von mir und anderen Kolleg*innen gern unter den Tisch gekehrt werden. Von meiner Seite aus ist damit jetzt Schluss: Hier kommt eine Ode an den Pessimismus!
Von allen Dächern flötet die Glücksindustrie es in unsere Ohren: Wir sind unseres Glückes Schmied. Wer sich nur feste genug anstrengt, wird glücklich. Und wenn Du noch nicht glücklich bist, tja, dann hast Du wohl was falsch gemacht und/oder Dich nicht genügend angestrengt. Das gelte im Job wie in der Beziehung. Fatal, denn es gibt viele Situationen, in denen wir alles richtig machen und trotzdem nix klappt. Dass das sogar ziemlich normal ist, liegt auf der Hand. Unsere Welt ist viel zu komplex, als dass wir sie durchgehend mit unserem Verhalten immer so beeinflussen könnten, wie wir es wollen. Bitte nicht falsch verstehen: Natürlich macht unser Verhalten einen Unterschied, aber eben als Teil eines großen Ganzen. Da kommt es eben auch mal vor, dass das große Ganze sich nicht nach unserem Gusto bewegt. Gerade im Job merken wird das ziemlich häufig, was in der Regel große Frustrationen nach sich zieht. Die eigenen Erwartungen anzupassen, wäre eine einfache Möglichkeit, sich vor diesen negative Erlebnissen zu schützen. Aber wie schraubt man Erwartungen nach unten, ohne die Motivation zu verlieren? Vielleicht ist manchmal weniger Optimismus die Lösung …
Studien zeigen, dass negatives Denken Vorteile haben kann
Das Journal of Personality and Social Psychology berichtet 2013 (http://psycnet.apa.org/record/2013-18039-001), dass der Optimismus in jungen Ehen und/oder Beziehungen in vielen Fällen der Grund für später folgende Probleme ist. Eine gesunde Skepsis hingegen wirke eher stabilisierend auf die Beziehung. Im Berufsleben sieht es ähnlich aus: Selbstständige mit einem gesunden Hang (Achtung: hier steht ausdrücklich GESUND!) zum Pessimismus erzielen laut einer Studie des Institute for the Study of Labor (https://www.iza.org/de) im Schnitt 25 % mehr Einkommen als ihre fröhlichen Kolleg*innen auf der optimistischen Seite des Lebens. Hmm … da kann man natürlich zu Recht fragen, wer jetzt am Ende glücklicher ist, da wir ja wissen, dass Geld nicht glücklich macht. Aber, wer selbstständig ist weiß: Mehr Umsatz = weniger Sorgen. Denn bei Selbstständigen handelt es sich ja nicht um ein festes Gehalt, welches jeden Monat auf dem Konto landet. Kalkuliert man diesen Punkt ein und addiert die Verantwortung für Mitarbeitende hinzu, dann machen 25% mehr Umsatz vielleicht nicht glücklich, aber sie beruhigen schon deutlich..
Auch die Professorin für Psychologie an der Universität Hamburg, Gabriele Oettingen, ist überzeugt: Positives Denken kann hinderlich sein! Denn, so die Ergebnisse ihrer Forschung, die positiven Denker*innen entspannen sich durch ihre positiven Gedanken oft dermaßen, dass ihnen die notwendige Handlungsenergie leider flöten geht. So hat Oettinger beispielsweise ihre Studentinnen intensiv an ihre Traumschuhe denken lassen und sie anschließend getestet. Dabei stellte sie fest, dass der Blutdruck der Studienteilnehmerinnen sank und damit auch ihr Energielevel. Ähnliche Ergebnisse erhielt sie beim Vorstellungsgesprächexperiment. Die Teilnehmenden, die sich vor dem Gespräch vorstellten, ein großartiges Gespräch zu führen und sich in ihrem Tagtraum von ihrer besten Seite zeigten, verdienten später weniger. Wenn sie den Job überhaupt bekamen, denn in beiden Bereichen waren die Testteilnehmer*innen erfolgreicher, die negative Gedanken zugelassen hatten. Fazit: Positives Denken kann (ACHTUNG: kann!!!) ein Energiefresser sein.
Der Mix macht’s …
Nur negatives Denken bringt allerdings auch nicht ans Ziel und macht auf Dauer unglaublich unentspannt. Was also tun? Professorin Oettingen hat hierfür die sogenannte Woop Methode entwickelt. Eigentlich ganz unspektakulär, aber sehr effektiv. Es geht um wish, outcome, obstacle und plan. Also um Wunsch, Ergebnis, Hindernis und Plan. Was auch schon die Komponenten der Methode sind. Grundidee ist, sich das Ziel positiv auszumalen, ohne dabei die Hindernisse zu vergessen und diese auch einmal im Gedankenkino zu durchlaufen. Selbstverständlich mit allen dazugehörigen Gefühlen, auch den negativen. Am Ende steht der Plan, der aufgrund der positiven UND der negativen Gedanken und Gefühle entstanden ist. Dieses Prinzip nennt sich „mentale Kontrastierung“.
Für unseren modernen Arbeitsalltag wäre etwas mehr mentale Kontrastierung sicher förderlich. Und auch für unser Seelenheil. Natürlich gilt das besonders für die Führung von Mitarbeitenden. Ein fröhliches „Wir schaffen das“ funktioniert nicht. Gesunder Realismus ist angebracht und dazu gehören eben auch negative Gedanken. Klar ist es angenehm, einem verheißungsvollen Ziel entgegenzugehen, aber den anstrengenden Weg zu unterschlagen ist nicht nur naiv, es ist vor allem kontraproduktiv.
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